Kreatives aus dem Lateinunterricht

Eine Moderne Interpretation von Catulls Carmen 50

Wer schon einmal erlebt hat, wie der Mann oder die Frau der eigenen Träume mit einem potentiellen Rivalen Zeit verbracht hat, weiß, zwischen welchen Gefühlen man hin- und hergerissen sein kann. Dem römischen Dichter Catull gelingt es dabei wie keinem Zweiten, derartige Gefühle auf eine lebendige Art und Weise zu versprachlichen. 

Eines der bekannteren Gedichte des römischen Neoterikers Catull (1. Jhd. v. Chr.) handelt davon, wie das lyrische Ich seine Geliebte anschmachtet, während sie mit einem anderen Mann Zeit verbringt. Das Carmen 51 ist dabei angelehnt an die sog. Sapphische Ode, benannt nach einem der wenigen erhaltenen Werke einer altgriechischen Dichterin namens Sappho von Lesbos (ca. 630/20–570 v. Chr.). 
Gar herausragender als die Götter scheint jener zu sein (wer es sein mag, verrät Catull uns nicht), der in den Genuss kommt, die Angebetete des lyrischen Ichs betrachten und ihr süßes Lächeln hören zu können. Kein Wunder, wenn dem lyrischen Ich selbst dann Hören und Sehen vergeht, ist es doch knallhart in das Mädchen verliebt. Und was die Verliebtheit dann so mit einem macht, vermag der Dichter Catull geschickt zu versprachlichen: Es stockt … die Zunge, die Ohren klingeln, ein Kribbeln fährt unter die Haut und alles dreht sich vor lauter Gefühlen. Um sich schnell wieder einzukriegen, schiebt das lyrische Ich vernünftige Gedanken hinterher: Ach, was grübelst Du denn so, Catull, Langeweile wird Dich noch zugrunde richten.

Dieses zeitlose kleine Werk, das unerwiderte Gefühle erfasst, wie kaum ein anderes, veranlasste Katharina H., Schülerin des Lateinkurses in der EF dazu, eine eigene Interpretation des Carmen 51 zu formulieren:

Warum Sie?

Ich gehe spazieren, schlendere den Weg,
Genieße die Wärme, den leichten Wind, der da weht.
Und als ich wagte, an dich zu denken,
und mich fragte, was dein Leben dir wohl schenkt,
da sah ich dich.

Dich, wie du da stehst,
als wärst du dafür geboren,
die Schritte so galant zu gehen
wie eine fließende Bewegung.

Doch ich stehe da wie erfroren.
Wie ein Blitz sticht es mich,
als ich sehe, wer da neben dir steht.
Sie und nicht Ich.

Ich stehe hier und sehe dein Lachen
nur aus der Ferne wie die Sonne aufflackern.
Deine Grübchen, die wie Morgentau
das Böse der Welt verschwinden lassen,
wie gerne würde ich diese mit meinen Fingern erfassen.

Doch ich stehe hier und sehe, wie du über Ihre Worte lachst.
Was habe ich nur falsch gemacht,
dass ich nicht da stehe, wo sie es so gemütlich hat?
So oft wünschte ich mir das.

Doch nein, nicht ‚mal böse darf ich ihr sein,
ich meine, guck sie dir an,
wie die Venus sticht sie heraus
und strahlt einen an.

Und auch ihr Verstand
wurde von Athena höchst persönlich gesandt.
Das wünsche ich dir schließlich auch,
und trotzdem frage ich mich:
Warum Sie und nicht Ich?

Noch einmal schaue ich mir dein Lächeln an,
weshalb ich auf Wolke sieben sprang,
und doch hing es schwer wie Blei an meinem Fuße.

Dann drehe ich ab und gehe den Weg,
mit so viel Wind, dass er mich von vorne verschlingt.
Auch die Wolken hat er mitgebracht,
doch die Tropfen bedecken wenigstens die Spuren, die er unabsichtlich hinterließ.

Solltet Ihr auch einmal kreative Texte in Eurem Unterricht verfasst haben und diese gerne im Spickzettel veröffentlichen wollen, wendet Euch gerne an Herrn Frede-Dick!